Zwischen Pfirsichbäumen und Weinstöcken: Luribay entdecken und genießen



Viel Obst und Gemüse, das in La Paz verkauft wird, kommt aus Luribay. All die Pfirsiche und Kürbisse, die sich in Villa Dolores nahe der Teleférico-Station Faro in El Alto stapeln, stammen von dort. Mittlerweile wird auch in dem Laden, der im Gebäude des Restaurants Manq’a an der Plaza Avaroa liegt, Marmelade, Wein und Singani aus Luribay verkauft. Grund genug, einmal dorthin zu fahren, wo Wein, Honig und Pfirsichsaft fließen. 


Der erste Fehler ist schon einmal, sich Luribay als Ort vorzustellen. Luribay ist vielmehr ein Tal, das sich auf mehr als vierzig Kilometern entlang des Flusses erstreckt, mal breit, mal schmal, mit steilen Berghängen auf beiden Seiten. Entlang des Tales und in dem Seitentälern liegen nicht weniger als 84 Comunidades, die von Ansammlungen einiger Häuser bis hin zu Dörfern mit Plaza und Schule reichen. Die Entfernung von Poroma (Südende) bis Bravo (Nordende) bzw. Porvenir (Nordostende) wird allerdings lieber in Zeit angegeben: drei Autostunden. Was schon alles über die Straße aussagt. Eine schmale Erdstraße, meistens gerade breit genug für ein Auto oder einen knappen Lkw, viele Kurven, Steigungen und Gefälle sowie gelegentlich ein kleiner Graben oder Buckel. Geschwindigkeiten über 20 km/h sind selten und werden als Raserei empfunden. 



Die Cabaña Unión ist ein „Emprendimiento Turístico Social Comunitario“, das von Omar Apaza und seiner Familie geführt wird. Sie bietet Unterkunft, Verpflegung und Aktivitäten an, ein Service, der sehr zu empfehlen ist. Zum einen gibt es zwischen den Comunidades keine öffentlichen Verkehrsmittel, zum anderen liefe man Gefahr, bei den verschiedenen zu besichtigenden Orten vor verschlossenen Türen zu stehen. Die Menschen sind zum Arbeiten auf ihren Feldern, denn Touristen kommen nur selten. 



Bienenkultur 


In der Comunidad Cutty liegt das „Centro de Apicultura“, wo sich  Demetrio den Bienen und ihren Produkten widmet. Schon Demetrios Vater hatte 1980 mit der Imkerei in Luribay begonnen. Sein Sohn führt die Tradition weiter und baut sie aus. Zum ersten Mal streife ich mir eine Imkerjacke über. Wir besuchen aber nur die zahmen italienischen Bienen, zu den wilden afrikanischen nimmt Demetrio keine Touristen mit. Honig frisch aus der Wabe, noch immenwarm und mit ein bißchen Wachs – lecker. 

Dreimal pro Jahr kann Demetrio ernten, je nach Jahreszeit mit unterschiedlichem Geschmack und unterschiedlicher Farbe, von sehr hell bis zu tiefbraun. Verkauft werden der Honig und andere Produkte – z.B. Cremes gegen Knochen- und Muskelbeschwerden – nahezu ausschließlich vor Ort.  




Wein & Singani



Peña Colorada ist ein uraltes Weingut, das älteste von Luribay und eines der ältesten Boliviens. Tarija ist das bekannteste Weinbaugebiet des Landes, aber bei weitem nicht das älteste. Nach den momentan gültigen Erkenntnissen begann die Weinkultur in Mizque, im Departamento Cochabamba, um 1550. Von da ging es weiter nach Luribay, Cotaigata bei Potosí, Camargo und schließlich nach Tarija.  

Omar zufolge war ein Jesuitenpriester für den Beginn des Weinbaus in Luribay verantwortlich. Ohne Wein wollte er keine Messe lesen. Aber ohne Messe fürchteten die spanischen Eroberer, in der Hölle zu landen. Kurz: Ohne Wein kein Seelenheil, am Anbau führte kein Weg vorbei. Die erste Traubensorte hieß „misionera“. Sie wird bis heute angebaut, dazu kamen verschiedene andere, am wichtigsten „muscatel“, weil es die einzige Sorte ist, aus der Singani gebrannt werden darf. 



Peña Colorada war einmal, wie praktisch alle landwirtschaftlich genutzten Flächen im Tal, Teil einer große Hacienda. Im Zuge der Revolution und Landreform von 1952 wurden die Haciendas aufgelöst. Das war, sagt Omar, „beneficio y prejuicio“, Nutzen und Schaden zugleich. Gut war, daß das Land, das vorher einigen wenigen spanischstämmigen Personen gehörte und nach alter feudaler Art zusammen mit den darauf lebenden und arbeitenden Menschen vererbt oder verkauft wurde, nun gerechter unter mehr Menschen aufgeteilt wurde. Aber leider kam es zu Plünderungen und Zerstörungen. Jeder nahm sich, was er wollte. Auf den Haciendas gab es Molkereien, Wein- und Singaniproduktion, einige waren sehr gut ausgestattet und ziemlich modern. Vieles davon wurde zerstört oder ging verloren. Das Niveau von Landwirtschaft und Produktion erlitt einen heftigen Rückschlag.  



Präsidenten 



Aus Luribay stammen  nicht weniger als drei ehemalige Präsidenten Boliviens, darunter mit
José María Pérez de Urdininea der dritte Präsident, nach Bolívar und Sucre, und der erste gebürtige Bolivianer im Amt. Die Ex-Hacienda von José Manuel Pando kann man besichtigen. Pando war von 1899 bis 1904 Präsident. Er ließ die Eisenbahnstrecke von La Paz nach Guaqui erbauen. Weil er sich stark für die Markierung der Grenzen auch in den entlegenen Landesteilen einsetzte, erhielt ein Departamento seinen Namen. Seine wichtigste Amtshandlung war die Verlegung des Regierungssitzes von Sucre nach La Paz. Zu den Schattenseiten seiner Amtszeit und seines Charakters zählt der Verrat an den Indigenen, die er zunächst als Verbündete seiner Politik nutzte, deren Anführer er jedoch später verfolgen und töten ließ. 

Nach der Revolution von 1952 wohnte in der Hacienda ein Arzt namens de Lucca Jahnsen, eine schillernde Persönlichkeit, der seine medizinischen Beziehungen zu einem ausschweifenden Drogenkonsum nutzte und auch dem Genuß von Alkohol sehr zugetan war. Die Einschußlöcher in der Wand rühren daher, daß er Gäste gelegentlich mit Nachdruck zum Mittrinken aufforderte. 

Noch eine Saufgeschichte? Na gut. Aber nur um zu zeigen, daß Alkoholmißbrauch keine allzu neue Errungenschaft ist. 

Also: In der Zeit des Präsidenten Pando gab es in einer nahegelegenen Comunidad die „Universidad de Cutty“. Das war keine normale Bildungsanstalt. Man kam per Pferd, betrank sich maßlos und ging am nächsten Morgen, das Roß am Zügel führend, nach Hause. Wer das durchstand, hatte sich den Universitätsabschluß als „Borracho“ verdient, der selbstverständlich vom Präsidenten schön mit Urkunde, Stempel und Unterschrift bezeugt wurde.   


Ein Franzose in Porvenir



An einem Ende Luribays, in der Comunidad Porvenir, lebt Victor Touchard. Sein Urgroßvater wanderte Mitte des 19. Jahrhunderts aus Frankreich aus, um am Illimani nach Gold zu suchen. Victor ist 72 Jahre alt, hat von zwei Frauen sieben Kinder , die aber alle in La Paz leben. So bewirtschaftet er allein eine große Obstplantage mit verschiedenen Sorten Wein, mit Pfirsichen, Äpfeln und Birnen
. Um Vögel vom Obst fernzuhalten, ohne jedes Mal durch die Plantage laufen zu müssen, hat er leere Konservendosen an mehreren miteinander verbundenen  Drähten aufgehängt. So muß er lediglich an einem Draht am Haus kräftig ziehen, um über den Pflanzungen ordentlich Radau zu machen. 

In der Nacht, bevor wir nach Porvenir fahren, hat es kräftig geregnet, was die Straße stellenweise in eine Schlammpiste verwandelt. 

Ein entgegenkommender Kleinbus ist in einer Steigung hängengeblieben und versperrt den Weg. Erst nach wiederholtem Unterlegen von Steinen, Zweigen und mit kräftigem Anschieben schafft er es schließlich hinauf und gibt damit den Weg wieder frei. 


Bei Victor kocht Omars Frau Juana „pollo con mostaza“, wir essen gemeinsam und probieren einige von Victors Weinen. Das anschließende Würfelspiel scheitert am Fehlen von Würfeln. Immerhin verliert so niemand von uns Haus und Hof. 












Nochmal Wein & Singani



An meinem letzten Abend findet für die etwa dreißig Besucher einer Hotelschule aus La Paz eine Verköstigung von Wein und Singani statt. Die Weine Luribays sind meist eher auf der süßen Seite angesiedelt. Das ist zum einen dem bolivianischen Geschmack geschuldet („paladar dulce“), zum anderen dem hohen Zuckergehalt der Weintrauben. Mit der Zeit finde ich immer mehr Gefallen daran, auch wenn ich zum Essen an sich eher trockene Weine bevorzuge. Als Dessertweine, teilweise in Richtung Portwein gehend,  schmecken sie mir  sehr gut.

Wein- und Singaniproduktion laufen in Luribay noch immer „artesanal“, d.h. traditionell und handwerklich ab. Das darf man aber nicht mit amateurhaft verwechseln. Omar, studierter Agronom, und seine Kollegen an der Rebe verstehen sehr viel vom Weinbau, und eine Silbermedaille für den zweitbesten Singani auf der Messe Fenavit in Camargo holt man nicht mal eben so. 


Bei einem Besuch seiner Weinpflanzungen hatte mir Omar den richtigen Schnitt der Reben gezeigt und erklärt. Nun muß ich das zuhause in Deutschland bei meinen beiden Weinstöcken anwenden und ihm von meinen (Miß-) Erfolgen berichten.  


An meinem Abreisetag darf ich beim Mahlen der Weintrauben („moler de uva“) zuschauen und helfen. Auf Omars Facebook-Seite (Omar Samuel Apaza Calle) kann man einige Bilder davon sehen. 264 Kisten mit jeweils fünfzehn bis zwanzig Kilo Muscatella-Trauben aus Porvenir waren auf dem Lkw. Ein zweiter Lkw brachte noch einmal so viel. Das 5000-Liter-Faß muß ja voll werden. Mit einem Refraktometer wird der Zuckergehalt der Trauben gemessen. Einen Wert von 13 braucht man mindestens; einige der Trauben erreichen deutlich über 20.


Vor dem Beginn des Mahlens wird etwas Singani auf den Boden gegossen, als Dank an Pachamama für die Ernte.  

Luribay hat mich überrascht, beeindruckt und ist mir ans Herz gewachsen. Es ist ein bemerkenswertes Tal, in dem, ungewöhnlich für Bolivien, mehr Wein als Bier getrunken wird, gerne auch schon mal bei einem vormittäglichen Besuch bei Freunden oder Verwandten. Manchmal hat man das Gefühl, in Südeuropa zu sein. Man würde Luribay etwas mehr Besucher, auch aus dem Ausland, wünschen. Nicht so viele, daß sich der Charakter des Tals änderte und die Menschen aufhörten, Pfirsiche, Wein und so viel anderes anzubauen. Aber doch so viel, daß die Gegend eine zweite Einkommensquelle erhielte und die Attraktionen die verdiente Aufmerksamkeit. 





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Praktische Informationen (Stand April 2023):


Anfahrt mit der Minibusgesellschaft „Luribay Durazno“ ab Calle 7, Villa Dolores, El Alto (nahe Teleférico-Station El Faro), täglich um 7, 14 und 16 Uhr. Fahrtzeit ca. vier Stunden, Preis 30 Bs. Es empfiehlt sich, die Fahrkarte am Tag vorher zu kaufen oder zu reservieren.

Für Abenteuerlustige ist eine Anfahrt über Sapahaqui und Caracato möglich. Angeblich gibt es auch eine noch abenteuerlichere Straße von Rio Abajo aus. Diese Angabe jedoch ohne Gewähr und ausdrücklich unter Ausschluß jeglicher Haftung! Falls es stimmt, bräuchte man auf jeden Fall ein Allradfahrzeug, etwas Mut und viel Geduld. 

In den Tälern und Bergen, die zu Luribay gehören, gäbe es auch heiße Quellen, Chullpares und Puya Raimondii zu entdecken. Und vermutlich noch einiges mehr. 


Internet-Link: www.boliviandando.com/es/municipio/Luribay. Aufenthalte bei Omar Apaza (cel. 68099663) in der Cabaña Unión kann man über das „RED TUSOCO“ organisieren, 




 

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