Yanacachi - das Dorf der ewigen Jugend?

Wie viele Male ich in den Yungas war, weiß ich schon lange nicht mehr; in wie vielen Orten ich war, auch nicht so genau, ich müsste angestrengt überlegen. Den Choro bin ich mehrfach gelaufen, den Yunga Cruz auch einmal. Der Takesi fehlt noch. Vielleicht liegt es auch daran, dass Yanacachi bislang außerhalb meiner mentalen Landkarte lag. Zeit, das zu ändern.

Schon die Anfahrt verläuft wie befürchtet: Da die einzige Minibusagentur mit direkten Fahrten nach Yanacachi nicht im Voraus ausfindig zu machen war und wir - wie immer eben - etwas hora boliviana unterwegs sind, gibt es keine Bustickets mehr. Die Option, vier Stunden in Minasa zu verbringen, ist wenig verlockend. Also geht es im nächsten Bus Richtung Chulumani los.

Früher war ich gegen die Ausblicke - und vor allem “Tiefenblicke” - auf der alten Strecke nach Coroico weitgehend unempfindlich. Vielleicht ist es die Entwöhnung, vielleicht das Alter oder doch einfach nur der recht forsche Fahrstil, jedenfalls muss ich auf der Strecke von Unduavi bis zum Wasserfall Velo de la Novia einige Male kurz die Luft anhalten. In La Florida angekommen, erschlägt uns die Hitze in der prallen Sonne am Rand der staubigen Straße, und das Eis, das Linderung verschaffen soll, verschafft vor allem Flecken auf den Klamotten.


Dorfplatz und Kirche von Yanacachi © Claudia Ullrich
 

Eine Taxifahrt, 20 Minuten (davon nochmals mindestens vier Schrecksekunden dank des Fahrers), 25 Bolivianos und ein paar Höhenmeter später sind wir dann an der plaza von Yanacachi. Das Dorf mutet doch recht anders an als manch andere, architektonisch “modernere” Dörfer in den Yungas: gedrungene zweistöckige Häuschen, Steinfassaden mit Holzbalkonen, ein kleiner aber gepflegter Dorfplatz mit einem Rondell und Bäumen, die Schatten spenden, eine weißgetünchte Kirche mit trutzigem Turm, ein angenehmer Luftzug und vor allem Ruhe. Obwohl noch die Reste des Samstagsmarkts zu sehen und noch einige Verkäuferinnen zugange sind, hört man vor allem: nichts. Das einzige Gebäude an der plaza, das auf unpassende Weise aus dem Rahmen fällt, ist wohl als Hommage an Freddy Mamani gedacht. Es verwundert (und dann auch wieder nicht), dass der Bauherr eine Genehmigung für diese pseudo-neobarocke Fassade in Frosch- und Grasgrün, mit schwarzen Badfliesen und einer leicht exzentrischen Haustüre überhaupt bekommen hat: Es ist das Haus des Bürgermeisters.

Das Haus des Bürgermeisters will sich einfach nicht ins architektonische Gesamtbild einfügen... 
© Claudia Ullrich

 

Schon bei der Einfahrt ins Dorf fällt ein hölzernes Schild auf, das auf ein Café namens "Wiñay Wayna" verweist. Also ein Café von oder für ewig Junggebliebene? Der geschmackvolle Kaffee vom Nachbarhang und die selbstgemachten Zimtschnecken haben jedenfalls das Potenzial, an eine verjüngende Wirkung dieser Genussmittel zu glauben. Auch das Haus als solches ist sehenswert: Wegen seiner typisch ländlichen Bauweise fällt man mit der Tür ins Haus bzw. steht eben direkt im Hauptraum des Hauses. Die Wände scheinen sich an der Wand des Nachbarhauses anzulehnen und auch der Fußboden fällt in eine Richtung ab. Dafür ist dieser rotbraun bemalt und mit einem auffälligen Muster vermutlich teils mit Schablone, teils von Hand verziert, sodass man denken könnte, es handle sich um Fliesen.


Detail des wunderschön bemalten Fußbodens und Fassade des Cafés "Wiñay Wayna" © Claudia Ullrich

Die Besitzerin des Cafés bietet ein sättigendes und geschmackvolles desayuno yungueño (Reis, Yuca, Fleisch und ein Spiegelei, danach ein Brot mit hausgemachter Marmelade aus limatomate). Danach steht der Aufstieg zum Kalvarienberg oberhalb des Dorfes auf dem Programm. Da die Sonne am mittleren Vormittag schon recht stark scheint und der Aufstieg in der stehenden Luft staubig und steil ist, bereuen wir fast umgehend das ausgiebige Frühstück. Nach einer knappen Stunde ist der calvario dann trotz Kind bestiegen. Die kleine Kapelle neben dem weit sichtbaren weißen Kreuz ist leider verschlossen und die unerreichbare Kühle im Inneren des Steingebäudes erscheint uns fast wie ein Hohn. Dafür belohnt der exponierte Ort mit einem wunderschönen Rundumblick.


Fußwege vom Dorfzentrum (rechts) zur Kapelle auf dem Kalvarienberg
© Google, Bearbeitung: Claudia Ullrich


Aufstieg zum und Ausblick vom calvario © Claudia Ullrich

Yanacachi liegt auf dem vordersten Teil eines Bergrückens, der zungenartig zwei Täler voneinander abtrennt. Durch das eine führen der Unduavi-Fluss und die Straße von La Paz nach Chulumani, durch das andere der Takesi-Fluss und der gleichnamige Trail, dessen Endpunkt für die meisten Yanacachi darstellt.

Dass dieser präinkaische Weg nicht in Yanacachi endet, kann man bei einem Besuch der Ruinen von Tawacosi nachvollziehen. Dorthin gelangt man über einen meist schattigen Pfad, der am unteren Dorfrand beginnt. Gutes Schuhwerk, Sonnen- und Mückenschutz sind - wie überall in den Yungas - ratsam. Nach mehr als einer halben Stunde geht von dem Serpentinenweg, den man beim Abstieg mehrfach kreuzt, direkt in einer Kurve eine Erdpiste nach rechts ab. An dieser Kreuzung befindet sich ein vereinzelter Hof. Nach dem Weg fragen, bringt uns keine wirklich hilfreiche Antwort (“¿Ruinas? ¿Qué ruinas?”), aber auf den zweiten Blick entdecken wir dann links des Hofes die Fortsetzung des Fußweges, der durch eine Bambuspflanzung führt und wenige Gehminuten später direkt in die Ruinen mündet. (Über die Erdpiste rechts wären wir in weniger als 300 Metern ebenso ans Ziel gekommen, wenn auch nicht so schön und schattig.)


Fußwegoptionen von Yanacachi zu den Ruinen von Tawacosi (rot)
und verschiedene präinkaische Wege in der Umgebung (blau)
© Google, Bearbeitung: Claudia Ullrich


Vorbei an Farn-bewachsenen Steinmauern, am Friedhof, einer wunderschönen Bougainvillea...
 © Claudia Ullrich

...verlassenen Gebäuden und zwischen noch mehr Steinmauern hindurch nach Tawacosi.
© Claudia Ullrich

Die Ruinen selbst sind ein Komplex von ca. 15 größtenteils einstöckigen Gebäuden, die meisten davon mit Satteldächern, deren Wände aus flachen tonschieferartigen Steinplatten gebaut und mit Lehm verkleidet waren. Leider finden sich online nur spärliche Informationen zum archäologischen Ursprung der Ruinen. Laut der lokalen Tourguides und der Seite boliviandando.com handelt es sich aber wohl recht sicher um einen tambo, also einen Ort, der schon in der präinkaischen Zeit am Kreuzungspunkt mehrerer Streckenabschnitte des die Anden durchziehenden Qapaq Ñan zur Rast und wohl auch als Lager v.a. für Lebensmittel genutzt wurde. In der Kolonialzeit und während der Republik wurde der Ort wegen der strategischen Lage an den Handelsrouten wahrscheinlich auch zur Erhebung von Zöllen genutzt. 


Beeindruckender Rundumblick vom Aussichtspunkt bei Tawacosi © Claudia Ullrich


Ungefähr 50 Meter von den Ruinen entfernt kann man über einige alte Stufen auf eine kleine Erhebung klettern, von der aus man einen großartigen 360°-Blick über beide Täler hat. Und wieder ist das beeindruckendste die ungewohnte Stille. Das Rauschen des Flusses weit unten im Tal übertönt die wenigen Autogeräusche und mit etwas Fantasie kann man sich in eine längst vergangene Zeit denken, in der Menschen von diesem Ort aus vielleicht tagelang einfach nur Ausschau hielten und den Blick über die grüne Berglandschaft schweifen ließen.

Nicht nötig zu erwähnen, dass die Rückfahrt ins laute und wuselige La Paz doch ein bisschen schwerfiel…


Claudia Ullrich



(Hoffentlich) Hilfreiche Reisetipps:


Informationen zu den Ruinen von Tawacosi: https://www.boliviandando.com/es/atracciones/ruinas-arqueologicas-de-tawacosi/


Informationen der UNESCO zum Weltkulturerbe Qapaq Ñan: https://whc.unesco.org/es/list/1459


Sindicato Mixto Transtur Takesi: 71530467


AirBnB "Cabañitas de la abuela" (einfach aber ruhig und günstig):

https://es-l.airbnb.com/rooms/877496770046860914?check_in=2023-05-06&check_out=2023-05-11&guests=1&adults=1&s=67&unique_share_id=a5ffba08-d271-41fe-825b-4bb779e9848e


Café Wiñay Wayna (bietet auch Unterkunft und Camping an): 77233200 oder 76529813 oder auf Facebook: https://m.facebook.com/p/Wi%C3%B1ay-Wayna-Coffee-Yanacachi-100066319068804/?_rdr


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