Mariscal Braun ein Tik-Tok Star-Interview mit Herrn Dr. Kiera

 Mariscal Braun ein Tik-Tok Star

Interview mit Herrn Dr. Kiera



MB: Sehr geehrter Herr Dr. Kiera, Sie haben die Doktorarbeit "Otto Philipp Braun (1798-1869): Eine transatlantische Biographie" geschrieben und wurde nun ins spanische übersetzt. Vielen Dank, dass Sie der Einladung des Centro Cultural Aleman gefolgt sind und uns hier in La Paz besucht haben. Bevor wir über den Namensgeber der Schule sprechen, was hat Sie während Ihres Besuchs in La Paz und Bolivien besonders beeindruckt?

Dr. Kiera: Ich habe La Paz das letzte Mal 2007 - also vor über 17 Jahren besucht. Der Unterschied für mich war groß. Ob es die Teleférico war oder andere Veränderungen im Stadtbild. In Deutschland sind solche modernen Infrastrukturprojekte wohl leider nicht mehr möglich und wenn hätten gewisse Leute so was in unserer Hauptstadt schon nach wenigen Wochen beschmiert und verdreckt. Insgesamt schien mir La Paz eine Mischung aus Moderne und Tradition.

MB: "Otto Philipp Braun (1798-1869): Eine transatlantische Biographie", wie kam es zu diesem Titel, bzw. woher kam das Interesse über den Großmarschall zu recherchieren?

Dr. Kiera: Ich entdeckte Otto Philipp Braun 2005 während einer Reise in Peru. Da ich in Brauns Heimatstadt Kassel aufwuchs und für die Lokalzeitung schrieb, verfasste ich auch einen Artikel über den dort etwas in Vergessenheit geratenen Marschall. Daraufhin kontaktierte mich ein ehemaliger Mitarbeiter der Kasseler Sparkasse, der in den 1980er Jahren an Feierlichkeiten zu Ehren Brauns beteiligt gewesen war. Und er erwähnte einen Nachlass - also eine bisher unberührte Sammlung historischer Quellen. Da war es um mich als Geschichtsstudent geschehen und ich begann eine Forschungsarbeit, die fast 10 Jahre dauerte.

10.000 Seiten Originalquellen

MB: Nehmen Sie uns einmal mit in die Recherchearbeit eines Historikers. Wie und wo gelangt man zu den Schriftstücken und wie wertet man diese aus?

Dr. Kiera:


Ich hatte unglaubliches Glück. Als erstes hatte das bolivianische Nationalarchiv - auf Betreiben von Josep M Barnadas und mit Hilfe der deutschen Botschaft - den Nachlass erworben. Dann hatte Ludwig Georg Braun, Unternehmer aus Nordhessen und Verwandter Otto Philipp Brauns, das Projekt unglaublich großzügig und langjährig unterstützt und zu guter letzt gewann ich mit Claudio Andrade einen Mitstreiter in Bolivien, der jahrelang bolivianische Archive nach Quellen durchforstete während ich in internationalen Archiven suchte. Am Ende hatten wir fast 10.000 Seiten Originalquellen - das ist für eine Biographie aus dem 19. Jahrhundert für eine Person der zweiten politischen und militärischen Reihe (also kein Präsident) ungewöhnlich. Aber mit so vielen Quellen arbeiten zu können und detaillierte Aussagen belegbar treffen zu können, bereitete mir eine ungeheurere Freude.

MB: Wie können wir uns Otto Philipp Braun vorstellen? Welche Charakterzüge hatte er?

Dr. Kiera: Die Charakterzüge veränderten sich sicherlich und für einige Epochen im Leben Brauns haben wir nicht viele Quellen - etwa in seiner Jugend oder in den 1850er und 1860er Jahren. Dennoch ist es glaube ich - wenn auch etwas verkürzt - erlaubt zu sagen, dass Braun drei Dinge verband: militärische und politische Leistung, sowohl ad hoc auf dem Schlachtfeld als auch strukturell als Administrator und Ausbilder und eine nahezu bedingungslose politische Loyalität seinen Präsidenten Bolivar, Sucre und Santa Cruz - und später auch Belzu. 

MB: Otto Philipp Braun ist in Deutschland, Kassel geboren, wie kam es dazu, dass er hier in Bolivien eine so besondere Rolle einnahm?

Dr. Kiera: Braun fand keine Karrieremöglichkeiten im krisengebeutelten Europa der nachnapoleonischen Zeit. Also wanderte er in die USA aus - wo er scheiterte. Dann nach Haiti - wo er scheiterte. Und dann nach Südamerika wo er sich Simon Bolivar anschloss. Braun war zu diesem Zeitpunkt Veteran der Befreiungskriege gegen Napoleon und Veterinär und ausgebildeter Reiter. Dies waren gefragte Fähigkeiten. Gepaart mit seiner militärischen Leistung und politischen Loyalität, legte er den Grundstein für eine märchenhafte Karriere. Vom Freiwilligen zum Helden von Junín, General, Kriegsminister und einer der einflussreichsten Personen der südamerikanischen Politik über mehrere Jahrzehnte. Eines muss man jedoch sagen: Braun fühlte sich nicht nur als Kur-Hesse und Deutscher sondern war Südamerika sehr verbunden und fühlte sich auch als Bolivianer.

Mariscal Braun ein Tik-Tok Star

MB: "Mariscal Braun wäre heute ein Tik-Tok Star!" Dies haben Sie beim Vortrag vor den OberstufenschülerInnen gesagt, können Sie diese noch einmal erläutern?

Dr. Kiera: Otto Philipp Braun scheiterte in den USA und auf Haiti, aber er gab nicht auf. Auch zeichnete er sich Zeit seines Lebens durch einen großen Willen aus viel zu leisten und zog dies über Jahrzehnte durch. Wer heute diese Verhaltensweisen an den Tag legt, wird - so mein Eindruck nach - erfolgreich. Daher wäre, würde Otto Philipp Braun heute noch leben - sicherlich Tiktok Star.

Wenn man scheitert es sich lohnen kann, die Umgebung zu wechseln.

MB: Was kann man aus dem Leben von Otto Phillip Braun lernen?

Dr. Kiera: Meine persönliche Hauptlehre aus dem Leben Otto Philipp Brauns ist es, dass wenn man scheitert es sich lohnen kann, die Umgebung zu wechseln. Braun wäre in Europa, den USA oder auf Haiti nie so erfolgreich geworden, wie in Südamerika. Er begab sich in ein Umfeld, das seine Qualitäten - Leistung und Loyalität - belohnte. Vielleicht ist das heute auch eine gute Strategie. Ferner begnügte sich Braun nicht mit Mittelmaß, sondern zeigte über Jahrzehnte Leistung, Loyalität und den Willen zu Innovation und Verbesserung - beispielsweise indem er militärische Schriften von Friedrich dem Großen ins Spanische übersetzte und auf die lokalen Gegebenheiten anpasste. 

Ehrentitel Großmarschall

MB: Können Sie noch einmal kurz umreißen, was die militärische und politische Leistungen Mariscal Brauns waren? Wie kam er zu dem Ehrentitel Großmarschall?

Dr. Kiera: Otto Philipp Braun war nach der Schlacht von Junín eine feste Größe der Unabhängigkeitsarmee. Viele seiner Freunde waren einflussreiche Politiker und Präsidenten. Nach der Unabhängigkeit war er eine verlässliche, loyale Stütze des bolivianischen Präsidenten Andrés de Santa Cruz. Als dessen peruanisch-bolivianische Konföderation von Argentinien angegriffen wurde, war es Braun, der die Argentinier besiegte, die Provinz Tarija rettete und den argentinisch-bolivianischen Krieg gewann. Hierfür wurde er mit dem Titel: Großmarschall belohnt. Allerdings kurze Zeit später zerbrach die bolivianisch-peruanische Konföderation und das System von Andrés de  Santa Cruz und Braun musste Bolivien - zeitweise - verlassen. Den Titel Großmarschall jedoch behielt er sein Leben lang.

MB: Die Buchpräsentation und Symposium waren ein voller Erfolg. Hatten Sie so viel Feed Back erwartet?

Dr. Kiera: Es ist glaube ich der größte Traum eines jeden Wissenschaftlers, dass seine Arbeit auf Interesse stößt. Ich war sehr geschmeichelt über das Interesse am Thema in La Paz sowohl von Geschichtsinteressierten aber auch bolivianischen Historikern. Ziel meiner Arbeit - die immerhin fast 10 Jahre gedauert hat - war es, ein wissenschaftliches Buch zu schreiben, das aufgrund einer breiten Quellen- und Literaturlage nicht nur Leute interessiert, die Braun spannend finden, sondern Menschen die sich für die frühen Jahre der jungen Republik und den südamerikanischen Unabhängigkeitskrieg interessieren.

MB: Am 10. Mai 2023 feiert die Deutsche Schule La Paz Mariscal Braun den 100. Geburtstag. Das ganze Jahr über finden zu diesem Jubiläum Veranstaltungen statt. Planen Sie eine Besuch? Sie sind herzlich Willkommen!

Dr. Kiera: Ich war so von der Freundlichkeit der deutschen Community in La Paz, der Alumni der Schule, vieler TV Stationen und Radiosender und Menschen überwältigt, dass ich mir vornahm, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, ich das nächste Mal nicht mehr alleine nach Bolivien komme, sondern meine Familie mitnehme - um auch Ihnen dieses wunderschöne Land zu zeigen.

Wie geht es Cambchen?

MB: Das Schulmaskottchen "Cambchen" gibt es erst seit ein paar Monaten, Sie haben es als Dankeschön überreicht bekommen. Wie geht es Cambchen? 

Dr. Kiera: Cambchen ist von unserem Sohn Karl-Hendrik (1 Jahr) tief in sein Herz geschlossen und wacht jede Nacht über dessen Schlaf.

MB: Sehr geehrter Herr Dr. Kiera, vielen Dank für das Interview. 

                                Patrick Hartwigt















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